Kein gutes Jahr für Flüchtlinge - ein Rückblick

Das Jahr 2020 scheint zunächst keine nennenswerten Veränderungen mit sich zu bringen. Nach wie vor wird sich innerhalb der europäischen Union um die Verteilung der Flüchtlinge gestritten. Polen, Ungarn und die Tschechei weigern sich hartnäckig, weitere Schutzsuchende aufzunehmen. Und so kann sich Deutschland noch nicht mal durchringen, zumindest diejenigen aus den überfüllten Lagern auf den griechischen Inseln aufzunehmen, welche besonders schutzbedürftig sind.

Mit dem Urteil der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte kommt der erste Rückschlag für die Rechte von Flüchtlingen, denn in seinem Urteil vom 13.02.2020 revidiert die Kammer seine bisherige Rechtsprechung zu den so genannten „Push Backs“ an den europäischen Außengrenzen indem es zu der Überzeugung kommt, dass eine unmittelbare Abschiebung zweier Afrikaner von Spanien nach Marokko nicht gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoße. Die Schutzsuchenden hätten legale Einreisewege nutzen müssen. So sei die spanische Botschaft nur wenige Kilometer entfernt gewesen. Etwaige Bedenken hinsichtlich der tatsächlichen Möglichkeit einer legalen Einreise werden von der Kammer dabei nicht berücksichtigt.

Das Urteil wirft Fragen auf, denn welche Anträge hätten die beiden Afrikaner bei der spanischen Botschaft stellen sollen? Einen Asylantrag? Ist der Großen Kammer tatsächlich nicht bekannt, dass Asylanträge ausschließlich innerhalb der Landesgrenzen des Staates zu stellen sind, in denen der Schutz gesucht wird? Eine Asylantragstellung in einer Botschaft ist damit rechtlich nicht möglich. Schutzsuchende müssen dafür also Grenzen überschreiten und das ist mit einem legalen Visum nicht möglich. Sie erfüllen nämlich gerade nicht die Voraussetzungen, weil sie weder die Zeit noch die Dokumente für eine Antragstellung haben sollten. Darum wird doch über so genannte „Resettlement- bzw. Replacement“-Programme und alternative Einreisewege diskutiert. Ist das etwa gemeint, wenn die Kammer in seinem Urteil davon spricht, dass Schutzsuchenden ein Weg eingeräumt werden müsse, einen Asylantrag auf legalem Weg zu stellen? Es bleibt spannend, wie die Europäischen Staaten gedenken, diese Vorgabe umsetzen zu wollen.

Zunächst scheinen die Europäischen Staaten ihre Bindung an völkerrechtliche Verträge vollständig vergessen zu haben, denn Griechenland setzt im März 2020 aufgrund der wieder ansteigenden Zahl von Flüchtlingen aus der Türkei einfach das Recht auf eine Asylantragstellung für einen Monat einfach aus und erhält von den übrigen Staaten der Europäischen Union dabei einstimmige Unterstützung. „Erst die Ordnung und dann die Humanität“ wird zum ausschlaggebenden Motto. Dabei scheint der deutsche Innenminister vergessen, oder zu verdrängt zu haben, dass zur „Ordnung“ das gesamte Recht und damit auch völkerrechtliche Verträge gehören. Nun steht in der Genfer Flüchtlingskonvention nichts drin, dass einen Mitgliedsstaats berechtigen würde, dieses Recht auf eine Asylantragstellung auszusetzen. Offensichtlich war es, aufgrund der Erfahrungen aus dem zweiten Weltkrieg, eine bewusste Entscheidung, ein solches Recht nicht in den Vertrag aufzunehmen. Griechenland hat damit eindeutig gegen die Genfer Flüchtlingskonvention verstoßen, obwohl es Vertragspartner ist. Mit der „Ordnung“ haben es die die Europäischen Staaten also nicht so.

Das Griechenland im weiteren Verlauf der Ereignisse weitere völkerrechtlich verbrieften Rechte einfach ignoriert, scheint für hochrangige Politiker der Europäischen Union dann auch nicht mehr schlimm zu sein.

So werden Flüchtlinge, die bei der Überquerung der Grenze auf dem Landweg verhaftet wurden, in strafrechtlichen Schnellverfahren wegen illegaler Einreise zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt und das ohne irgendeines rechtlichen Beistandes. Boote mit Flüchtlingen werden von der griechischen Küstenwache in türkische Gewässer zurückgedrängt und die Schutzsuchenden, die es dennoch an Land schaffen, werden in Lager gebracht, ohne ihnen den Standort der Lager mitzuteilen. Es werden Handys weggenommen oder zerstört, so dass die Flüchtlinge keinerlei Möglichkeit haben, Verwandte oder Freunde über ihren Verbleib zu informieren. Schließlich wird Rechtsanwälten der Zutritt zu den Lagern verwehrt. Ganz zu schweigen von den Gummigeschossen und dem Tränengas, mit denen die Flüchtlinge von der Überquerung der Grenze abgehalten werden. Mit Stolz präsentiert der griechische Präsident der Kommissionspräsidentin und der deutschen Kanzlerin die Abschottung der Europäischen Außengrenze und beide sagen kein Wort zu den offensichtlichen Menschenrechtsverletzungen. Das Bollwerk Europa ist wichtiger geworden, als die Wahrung der grundlegenden Rechte von Menschen.

Anfang September bringt der Virus das Fass im Flüchtlingscamp Moria auf der griechischen Insel Lesbos dann zum Überlaufen. In der Nacht zum 09. September brennt das Lager vollständig nieder und vernichtet die wenigen Habseligkeiten, die den Bewohnern auf der Flucht geblieben sind. Anstelle von Empathie schlagen die griechischen Behörden mit Härte zurück. Man wolle sich nicht von den Flüchtlingen zu einer Änderung der Umstände erpressen lassen. Während also in Windeseile auf einem ehemaligen Truppenübungsplatz ein neues Lager errichtet wird, wird der friedliche Ruf der Flüchtlinge nach Freiheit mit Tränengans und Gummigeschossen erstickt, ungeachtet dessen, dass damit Kinder getroffen werden. Später werden Flüchtlinge gezwungen, in das neu errichtete Lager zu ziehen. Dabei wollen die Griechen weder von Journalisten noch von Nichtregierungsorganisationen beobachtet werden. Ihnen wird der Zugang zu den Straßen, wo die Flüchtlinge sich nach dem Brand aufhalten, verwehrt.

Generell setzen die Griechen darauf, den Nichtregierungsorganisationen ihre Arbeit so schwierig wie möglich zu machen. Es wird ein Gesetz verabschiedet, wonach nur noch staatlich anerkannte Organisationen Flüchtlinge unterstützen dürfen. Außerdem wird den NGOs der Zutritt zum neuen Lager zunächst verwehrt. Nunmehr sollen Mitarbeiter von NGOs eine Schweigeverpflichtung unterschreiben, wonach sie über die Umstände im Lager nicht mehr sprechen dürfen. Dieses wird zur Voraussetzung für ihre Arbeit im Lager. Außerdem werden Verstöße gegen diese Regelungen strafrechtlich verfolgt.

Mich erinnert diese Vorgehensweise an eine dunkle Zeit in Deutschland: eine unerwünschte Gruppe wird ihrer Rechte beraubt, in Lager gesperrt und diejenigen, die dieser Gruppe helfen wollen, müssen mit massiven Folgen rechnen. Es wird mehr als offensichtlich, dass Europa auf Abschreckung bei der Lösung der Flüchtlingsfrage setzt, ohne Rücksicht auf die Wahrung der Menschenrechte. Währenddessen geht das stumme Sterben im Mittelmeer weiter, weil zivilen Rettungsschiffen die Fahrt aufgrund unterschiedlicher Argumente verwehrt wird und Erdogan bekommt das, was er mit der Öffnung seiner Grenzen nach Griechenland erreichen wollte, nämlich mehr Geld. Und obwohl ein rechtliches Gutachten beim Europäischen Gerichtshof zu dem Ergebnis kommt, dass die Weigerung Polens, Ungarns und Tschechiens gegen das EU-Vertragsrecht verstößt, wird weiterhin auf eine „Europäische Lösung“ mit Polen, der Tschechei und Ungarn gesetzt.

Gerade mal etwas über Hundert minderjährige Flüchtlinge wurden teilweise mit ihren Angehörigen im letzten Jahr von Deutschland aus den griechischen Lagern aufgenommen. Damit soll die Aufnahme abgeschlossen sein. Zugesagt waren wesentlich mehr, doch der Virus gibt den Gegnern anscheinend gute Argumente, um weitere besonders schutzbedürftige Flüchtlinge aufzunehmen. Dabei war es nicht nur eine humanitäre Geste, denn Deutschland war eh verpflichtet, einige dieser Minderjährigen nach dem Schengen Abkommen aufzunehmen.

Dass Deutschland sich nicht gerne an Verpflichtungen hält, zeigt sich auch, dass trotz entsprechender Urteile den Kindern von IS-Anhängern immer noch kein Visum zur Rückführung zu in Deutschland lebenden Verwandten ausgestellt wurde. Dagegen sollen verurteilte Straftäter fortan nach Syrien abgeschoben werden dürfen.

Das Jahr bietet aber auch Lichtblicke. So kommt das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen zu der Überzeugung, dass Afghanistan kein sicheres Land und damit eine Rückführung von Flüchtlingen zu diesem Zeitpunkt rechtliche nicht möglich sei. Zudem stuft der Europäische Gerichtshof die Kriegsdienstverweigerung in Syrien als politische Verfolgung ein und gibt damit jungen Syrern die Hoffnung auf die Anerkennung als Flüchtling. Und schließlich eröffnet das Oberlandesgericht Koblenz das Strafverfahren gegen einen Syrer wegen Folter und Verletzung des Völkerstrafrechts.

Nun liegt der Vorschlag der EU-Kommission für ein neues Asylsystem in der EU vor. Was der "NewPact" bringen wird, wird sich noch zeigen, aber er scheint für Flüchtlinge nichts Gutes zu verheißen.


Die Antwort Europas auf die Flüchtlingsfrage:

"Erst die Ordnung, und dann die Humanität"

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